Die Stadt sehen
...Was sehen wir? Im Grunde sehen wir Flächen und Linien, Farben und Licht. Die Flächen führen zum Teil ein abgekapseltes Eigenleben, säuberlich getrennt von anderen Bildelementen als Komposition. Manchmal gehen einzelne Bildelemente eine subtile Liaison mit dem Räumlichen ein, wirken dann leicht dreidimensional. Manchmal scheint das ‘zum Raum werden‘ ein Bund fürs Leben zu sein und werden zu moderaten Behauptungen im Bild, werden deutlich zu Säulen oder Balken, zu begehbaren Schichtungen, die einer Perspektive folgen oder unterschiedlichen Perspektiven. Dabei geht die Künstlerin höchst sparsam mit raumillusionierenden Mitteln, also Licht, Schatten, Schraffur um. Wie ein Wunder ist das dann, oder eine Täuschung. ….
…. Das, was die Künstlerin jedes Mal an Außergewöhnlichem, Besonderen sieht und davon kann sie nie genug bekommen, findet sich letztlich immer in ihrer eigenen Kontur wieder. Die Werke haben höchst intime Hintergründe. Sie sind tatsächlich was sie sind, authentische Ausschnitte. Die Reduzierung allerdings lässt sich nur abstrakt lesen. Also ein und dasselbe Kunstwerk ist gleichsam authentisch und abstrakt. …
…. Aber es gibt zu denken, dass die Welt in solchen Bildern doch auf einen Nenner gebracht wird. Letztlich ist das auch die Suche nach einem Ausdruck, der sich nicht vereinnahmen lässt. Nichts Spektakuläres, Lautes, Belehrendes, Empörtes. Nichts, das mit Mode und Trend und dem inflationären Kunstmarkt-Tand zu tun hat.
Christine Falk stellt sich mit dem, was sie macht, in den Weg - eine Art ‘Dagegenhalten‘ ist das. Kunst muss nicht anbrüllen gegen das Getöse einer aus den Fugen geratenen Zeit.
Manchmal denke ich, dass wir die Kunst auch als Notwehr brauchen. Allein eine Besinnung ist Notwehr. Dieses Gebaute, Stabile in den Bildern von Christine Falk könnte auch eine Art Besänftigung sein, die Kraft der Konstruktion, auch die der Zartheit mitunter, die die Ausdehnung der Zeit zu erkunden vermag, feinste Farbdeklinierung und ebenso Freude am Kontrast, an Dissonanten, die unsere Wahrnehmung würzen kann….
…. Die Schöpfung eines eigenen Gerüstes, das ist der Kunstgriff, der Kunstweg, das Fremde aufzusuchen und das Eigene zu finden, um Kultur zu begreifen. Deshalb sind ihre Bilder allesamt Verwandte, einig in einem solchen Konsens, der uns im Angesicht ihrer Bilder fühlen lässt, dass die große weite Welt doch so etwas wie ‘ein Gemeinsames Vielfaches‘, wie die Mathematiker das sagen würden, verbindet. Denn ähnlich geht es nicht zu auf dem Kontinenten. “Die Welt soll ja auch nicht in einer Nussschale zusammengefasst werden.“ (Wolfgang Heise)…
…. Die Aufwendungen, die Disziplin, vielleicht auch Besessenheit würde ich als eine lange Reise beschreiben. Sie sagt: „Ich mache Bilder zum Ausruhen, die etwas eingefangen haben.“ Das sind keine Abstraktionen, die nur aus sich selbst kommen. Das gibt es alles wirklich. Behausungen sind das vielleicht nicht. Das sind wahre Begebenheiten, Setzungen, Umstandsbestimmungen, mit denen Menschen zu tun haben. Eine Auswahl in aller Ruhe, Präzision - eine Art Übersetzung. Für Christine Falk stimmt die Form dann, wenn nichts aggressiv wird, nichts polarisiert. Ihre Bilder spiegeln Frieden und, wenn man so will eine Gewissheit, eine Erkenntnis wieder.
Rede von Petra Hornung anlässlich der Ausstellung „Die Stadt sehen" in der Galerie 100 im August 2022
Ein Zimmer für mich allein
Wenn Sie schon Gelegenheit hatten … Werke von Christine Falk genauer zu betrachten, dann werden Ihnen sicher „wieder erkennbare Raumfragmente" aufgefallen sein. Zwar sind alle Bilder aus strengen horizontalen und vertikalen Flächen gebaut, aber sie verneinen keineswegs ihren architektonischen Bezug. Aus den Farbflächen schälen sich bei längerem Hinsehen Haus- oder Zimmerfragmente, Vorhöfe, Fenster und Türen, Landschaftsformationen und Durchblicke heraus. Christine Falk lässt eine ganze räumliche Welt aus Vertikalen und Horizontalen entstehen. Ihr Ziel ist es, irgendwo in der Welt vorgefundene „Atmosphären“ einzufangen und diese als sinnliche Farbräume wiederzugeben. Hierbei leiten sie bisweilen nur ganz bestimmte Details, aber solche, die das Potential haben, neue Welten entstehen zu lassen. Vordergründig ist das zunächst dem ähnlich, was wir alle machen, wenn wir reisen: Uns fällt etwas Besonderes ins Auge und das halten wir fest, indem wir es fotografieren. Ebenso geht Christine Falk vor, die seit den neunziger Jahren in der ganzen Welt unterwegs ist und davon ebenfalls Fotografien mitbringt, die für sie den Status von Tagebuchnotizen haben. Sie begnügt sich jedoch nicht damit, diese einfach zu Fotobüchern zusammenzusetzen, sondern die Fotografien, in denen sie bisweilen nur ein winziges Detail interessiert, dienen ihr als Ausgangspunkt für bestimmte Räume, die sie dann „händisch“ – also nicht projiziert – auf dieLeinwand überträgt und mit zahlreichen Farbschichten zu einem harmonischen Farbklang umarbeitet. Hierbei versteht sie sich als eine Farbforscherin, deren Ziel es ist, die Sinnlichkeit bestimmter Frequenzen herauszuarbeiten. Dabei gilt es, einen Spagat zu wagen zwischen dem exotischen Licht oder den fremdartigen Gebäuden und Farbkombinationen und dem Gefühl für Licht und Farbe, mit dem sie selbst in Berlin und Umgebung kulturell geprägt wurde. Um diesen Spagat zu verstehen, möchte ich Ihnen eine Anekdote vom vietnamesischen Blumenverkäufer erzählen: Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal über die für unsere Augen exotischen Zusammenstellungen von Farben und Pflanzen gewundert. Sieht man sich diese Farben hingegen im Land selbst an, wirkt es kein bisschen ungewöhnlich, denn das Licht dort erfordert einfach andere Farbkombinationen. Wenn Sie das Bild Flughafen Tegel IV von 2015 betrachten, dann sehen Sie nicht nur kühles Licht, das sich in den seriell angeordneten Fensterbändern spiegelt, sondern sie merken auch sofort, dass der Raumeindruck, der zunächst durch die hineinragende Kante eine Tiefe suggeriert, durch die homogene Farbstimmung und die eingesetzten feinen blauen Linien sofort wieder ins Flächige changiert. Ohne den Titel müsste man nicht zwingend einen konkreten Ort erkennen. …. Wenn ich nun ihre Arbeit in ein kunsthistorisches Bezugssystem bringe, dann spielt wiederum der Raum die entscheidende Rolle. Um Christine Falk zu zitieren: „Von Anfang an habe ich gerne Häuser gemalt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich immer einen Rückzugsort‚ ein Zimmer für mich allein’ brauche.“ Mit dem Interesse an Raumkonstellationen und Lichtführung im Raum steht sie in der Kunstgeschichte keineswegs allein da: Bereits Adolf Menzel hatte in seinen Arbeiten für den preußischen Hof, seinem berühmten Flötenkonzert in Sanssouci oder später im Eisenwalzwerk vor allem Interesse an Licht- und Raumkompositionen, also an den abstrakten Komponenten, die den Bildgeschichten dann die besondere Magie verliehen haben. Als ihren malerischen Ausgangspunkt benennt Christine Falk August Mackes Tunisreise und zwar ob der besonderen Lichtsituation, die zu einer flirrenden Farbigkeit und bisweilen aufgelösten, flächigen Räumlichkeit führt. Vielleicht haben einige von Ihnen die Ausstellung von Piet Mondrian im Gropiusbau im vergangenen Jahr gesehen. Hier konnte man sehr gut die Vertikalen und Horizontalen sehen, die der junge Mondrian bereits in seinen frühen Landschaften deutlich betont hat. Von Mondrian stammt die Forderung, „ dass das Werk plastisch zum Ausdruck bringen muss, wie die Kräfte aufeinander wirken.“ Eben dies zeigen die Werke von Christine Falk. Sehr schön lässt es sich an den kleinen Kabinettstückchen sehen. Diese Arbeiten aus dem letzten Jahr kann man als „architekturbasierte optische Sensationen“ bezeichnen. Christine Falk beschreibt sie als Bilder, die dem Auge Kontemplation anbieten und so in einer bildüberfluteten Welt Halt zu bieten vermögen. Sie sind so gebaut, dass man in ihnen ein Deja-vu zu erkennen vermag. Vielleicht ermöglichen sie sogar, eine „mémoire involontaire“, eine unfreiwillige Erinnerung, mit der plötzlich eine ganze Welt vor unserem geistigen Auge aufzutauchen vermag, wie bei Marcel Proust die berühmte in Tee getauchte Madeleine es als Auslöser für die Erinnerung seiner Kindheit in Combray vermochte.
Dr. Marion Thielebein, Auszug aus der Rede zur Ausstellung in der rk-Galerie Berlin, 2016
Auch Abstraktion lebt aus dem Lebendigen
... Christine Falk ist eine Meisterin der ausgewogenen Form und eine Zauberin auf der Palette. Das sind ihre Mittel, mehr benötigt sie nicht. ...Christine Falk baut ihre Bilder auf aus geometrischen Flächen, zieht klare Linien über die Leinwand, nahezu ausschließlich in Senkrechten und Waagerechten. Wo das stringente System minimal variiert wird, entsteht so etwas wie Raumbezug: dünne Gitter suggerieren Fensterkreuze, leichte Schrägen öffnen sich der dritten Dimension. Somit entsteht so ein Raumgefüge – und längst hat der Betrachter erkannt, dass es sich um Häuser in Detailansichten, Flachdächer, Ausschnitte von Stadtansichten, Interieurs handelt. Die Konstruktion geht so weit, dass sich der Flächen-Farb-Teppich zum ornamentalen Klangspiel verdichtet. Die Irritation lässt sich aber selbst da noch inhaltlich füllen, geht es in den hier gezeigten Bildern doch um Eindrücke von asiatischen Reisen, die uns womöglich auch ›in echt‹ fremd vorkommen. Diese Distanz und zugleich die ästhetische Faszination machen die Balance aus, die in den Bildern vorherrscht. Auch das Licht ist so gesetzt, dass es als eigenes Bildelement ins Bildganze einfließt. Einen Kuschelkurs fährt Christine Falk jedoch nicht, bei aller Ausgewogenheit entsteht eine große Spannung zwischen dem großen, konkurrierenden Formenrepertoire; Disharmonien sind nicht zu vermeiden, Kontraste insbesondere in der Farbgebung drängen sich auf. Für ihre malerische Transkription »visueller Fundstücke« (nach den Worten der Künstlerin) in die Fläche, die vom Titel klar beim Namen genannt sind, schafft Christine Falk wunderbare Bildräume, zuweilen scharf fokussiert wie Fotografien. Ich denke, dass die Wahrnehmung dessen, was dem Titel nach dargestellt wird, jene konkreten Orte, notwendig ist, um die inhaltlich-gegenständliche Vorgabe zu haben, welche dann formal-ästhetisch umgewandelt wird: mehr Utopie, also Nicht-Ort oder Leerstelle, als Fiktion – schließlich wird hier nicht versucht, die Illusion des genannten Orts vorzutäuschen. Die Leere der Bildmotive kommt zumal ins Spiel, sobald man gewahr wird, dass keine Menschen die Straßen bevölkern – eine fast meditative Stille fernab jeglicher Markt- oder Gassenschreierei ist der Eindruck, der übrigbleibt: ein schönes Gefühl.….
Dr. G. Baumann, Auszug aus der Rede zur Ausstellung im Kunstverein Radolfzell, 2013
Auf die Fährte gebracht
Christine Falk führt uns mit Ihren Arbeiten auf die Grundstrukturen unserer Welt zurück, auf die wir tagtäglich schauen und dabei oft gar nicht bemerken. Denn meist vermag unser rastlos umher eilender Geist nur ein unüberschaubares Spektakel von Emotionen und Bedeutungen zu erkennen. Christine Falks Bilder lassen mich zur Ruhe kommen, sie erden mich angenehm auf dem Grund dessen was wirklich ist. Ihre Bilder laden dazu ein, den Dingen rund um uns herum in einfacher Betrachtung auf den Grund zu gehen. Mit untrüglichem Blick für das Wesentliche setzt sie in ihren klaren Bildkompositionen quasi als Pointen gezielt konkrete Requisiten, die wie schwerelos in der zur Abstraktion reduzierten realen Bildsituation zu schweben scheinen, dank der unser Auge, durch sie auf die »Fährte« gebracht, zu suchen beginnt. Dies schafft einen Spannungsbogen zwischen Schein und Sein, der die Betrachtung ihrer Bilder zu einer unermüdlichen Sinnenfreude macht und uns, ganz nebenbei anregt darüber zu meditieren was eigentlich Schein und was Sein ist, in den Bildern, und in dem, was in jedem Moment vor unserm Auge und vor unserem Geist sich zeigt.
Christian Peters, 2011